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Eine unvergessliche Begegnung

Klassen 10a und 10b nehmen an Zeitzeugengespräch mit polnischen Holocaust-Überlebenden teil

WIESBADEN Was der 90-jährige Bogdan Bartnikowski und der 82-jährige Jurek Kuligowski in ihrer Kindheit an Leid und Unmenschlichkeit ertragen mussten, ist wohl nur schwer in Worte zu fassen.

Doch die beiden polnischen Holocaust-Überlebenden wollen über die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte sprechen – und ihre Erfahrungen an die künftigen Generationen weitergeben. So auch am vergangenen Dienstagmorgen in der Aula der Gerhart-Hauptmann-Schule in Wiesbaden, als Bogdan und Jurek sich in einer unglaublichen Offenheit zunächst den Fragen vom evangelischen Pfarrer Klaus Endter, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der Evangelischen Initiative „Zeichen der Hoffnung“, stellten. Mit fleißiger Unterstützung der Übersetzerin Daria Schefczyk, Geschäftsführerin von „Zeichen der Hoffnung“, erhielten die Klassen 10a und 10b der GHS unglaublich dramatische Einblicke in den Alltag der polnischen Bevölkerung unter der NS-Herrschaft.

Bogdan wird nach einem Aufstand gegen die deutsche Besatzungsmacht in der polnischen Hauptstadt Warschau als 12-Jähriger gemeinsam mit seiner Mutter ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verfrachtet. Dort angekommen wird er zunächst von seiner Mutter getrennt, ist komplett auf sich allein gestellt. Leichenberge, ständiger Hunger, schiere Angst und Misshandlungen prägen seinen KZ-Alltag. Halt und Orientierung geben ihm einzig und allein polnische Kirchenlieder, die er vor dem Schlafengehen zusammen mit weiteren polnischen Jugendlichen summt. Dabei teilten sich 15 Kinder eine dreistöckige Pritsche, sanitäre Einrichtungen sind nicht vorhanden. Nachdem Bogdan Anfang des Jahres 1945 in das Konzentrationslager Berlin- Blankenburg verlegt wird, wird er am 22. April von der Roten Armee befreit. Danach kehrt Bogdan nach Polen zurück. Er absolviert sein Abitur, lässt sich zum Piloten der polnischen Luftwaffe ausbilden. Viele Jahre engagiert sich Bogdan im Verband der Warschauer Aufständischen und verarbeitet seine Lebenserfahrungen in insgesamt 23 Büchern.

Jurek ist gerade einmal fünf Jahre alt, als er zusammen mit seiner Mutter von SS-Truppen aus der Wohnung in Warschau gezerrt wird. Sein Vater hatte sich zuvor als Polizist an einem Aufstand beteiligt, wurde verraten und kam ebenfalls ins KZ Auschwitz-Birkenau. Doch damit nicht genug. Die deutsche Besatzungsmacht veranlasst gezielte Hausdurchsuchungen mit dem Ziel, die Verwandten der Aufständischen aufzuspüren. Darunter auch der kleine Jurek, der mit vielen weiteren polnischen Landsleuten – darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche – in einen Waggon Richtung Auschwitz-Birkenau gepackt wird. Auf dem Weg in das KZ stoppt der Transport abrupt, die Inhaftierten sind aus unerfindlichen Gründen frei. Ein Akt der Menschlichkeit. Jurek und seine Angehörigen kommen bei Familienangehörigen auf dem Land unter. Sein Vater stirbt später im österreichischen KZ Mauthausen.

Im weiteren Verlauf lernen die beiden Klassen Bogdan und Jurek in kleineren Gesprächskreisen noch intensiver kennen, stellen viele interessante Fragen und erhalten Augenzeugenberichte, die allen Beteiligten unter die Haut gehen. Trotz des Leides, der Gewalt und der Unmenschlichkeit, die Bogdan und Jurek durch die NS-Schergen erfahren haben, kommen sie heute laut eigener Aussage gerne nach Deutschland. „Wir empfinden keine Rachegefühle gegenüber den Deutschen. Wir wollen mit unserem Engagement ein Zeichen für Versöhnung und Frieden setzen“, erklären die beiden Zeitzeugen abschließend und stellen heraus, dass sie von dem Respekt, der Anerkennung und der Wertschätzung seitens der Schülerschaft begeistert und gerührt sind. Sie hätten sich an der GHS sehr wohlgefühlt.

Die Gerhart-Hauptmann-Schule ihrerseits dankt Bogdan und Jurek aus tiefstem Herzen für diese unvergessliche Begegnung. Es war uns eine Ehre, euch an unserer Schule begrüßen zu dürfen. Wir würden uns über ein Wiedersehen sehr freuen!

Klaus Endter (l.) von der Evangelischen Initiative „Zeichen der Hoffnung“ im Gespräch mit den Holocaust-Überlebenden Jurek Kuligowski (2.v.l.) und Bogdan Bartnikowski. Daria Schefczyk übersetzt die Schilderungen der polnischen Zeitzeugen.